Campingplatzhunde


Beinahe täglich werden die Tierschützer in Portugal mit Anrufen konfrontiert, in denen dringend um Hilfe bei irgendwelchen Problemfällen gebeten wird. Im März 2007 bekam Tierheimgründerin Lilo Clauberg-Kranendonk von einer deutschen Urlauberin Bescheid, dass in der Nähe des Campingplatzes in einer verlassenen Bretterbude samt nebenan stehendem Wohnwagen eine Gruppe von scheuen Hunden leben würde.
Diese Tierfreundin hatte die Vierbeiner in ihren vier Wochen Aufenthalt regelmäßig gefüttert und sie langsam ein bisschen an sich gewöhnt. Doch sie wollte die bedauernswerten Hunde nicht einfach unversorgt zurück lassen, denn außer dass sie dank einiger gutmeinender Mitmenschen ordentlich genährt waren, gab es nicht viel Positives. Die Urlauberin erkannte sehr wohl, dass die Tiere nicht gesund waren. Schwere Hautprobleme machten ihnen zu schaffen.
So machte sich Lilo mit einer Mitarbeiterin der Tierhilfe ohne Grenzen e.V. auf, um die Hunde einzufangen. Der erste Eindruck der Hütte und des Umfelds war erschütternd. Nichts als Dreck und Unrat, wohin man auch blickte. Wer auch immer hier gewohnt hatte, musste wohl ein leidenschaftlicher Sammler gewesen sein. Sessel, Rollstühle, Fahrräder, Matratzen und noch vieles mehr in nicht mehr brauchbarem Zustand waren um den Verschlag herum verstreut.
Und die Hunde erst! Auf den ersten Blick sah man, dass das Fell in schlechtem Zustand war. Der Juckreiz musste entsetzlich sein, denn ständig sah man den ein oder anderen kratzen. Eines der armen Geschöpfe war besonders schlimm dran. Im Brustbereich bedeckte kaum mehr ein Haar die rosa Haut. Doch darum konnten sich die Frauen erst mal keine Gedanken machen, denn das Gebot der Stunde lautete: Einfangen!
Die Urlauberin wartete bereits mit einem ihrer Sorgenkinder auf dem Arm. Das kleine Hündchen war von den anderen gemobbt und gezwickt worden. Sofort wurde das Tier in eine der mitgebrachten Boxen gesetzt.
Seine Artgenossen wurden dadurch schon etwas misstrauisch, aber mit ein bisschen Dosenfutter konnten sie noch einigermaßen angelockt werden. Ein paar der Hunde konnten so ohne Betäubung gefangen werden. Die Urlauberin übernahm hierbei die Hauptarbeit, da die Vierbeiner zu ihr am meisten Vertrauen hatten.
Doch allzu schnell hatten die übrigen Tiere bemerkt, dass die Frauen sie festhalten wollten. Sie zogen sich zurück, so dass doch noch das Beruhigungsmittel zum Einsatz kommen musste. Die Paste wurde ins Dosenfutter gerührt und die Mixtur dann den verunsicherten Hunden hingestellt.
Es dauerte eine Weile, bis sich der erste an den Napf traute. Aus den Augenwinkeln schielte er dabei fluchtbereit ständig zu den drei Frauen hinüber.
Seine Artgenossen konnten dem verführerischen Geruch auch nicht mehr länger widerstehen und bedienten sich an den verteilten Näpfen.
Dann begann einer ein bisschen zu torkeln und schaffte es mit größter Anstrengung noch unter den Wohnwagen. Das war nicht unbedingt im Sinne der Tierschützerinnen, denn so kam man ja kaum an ihn heran. Eine der Frauen fasste sich ein Herz und ließ sich auf die Knie herab (eine wirkliche Überwindung bei dem ganzen Dreck) und kroch halb unter den Wohnwagen, bis sie endlich eine Hinterpfote des benommenen Hundes fassen konnte. Alles Wehren und Zappeln auf Seiten des Vierbeiners war umsonst und wenige Minuten später saß auch er in einer der Transportboxen.
Ein Problemfall war der Anführer der Gruppe, nicht nur eines der größten und kräftigsten Tiere, sondern auch der vorsichtigsten. Bereits vor Beginn der Aktion hatte die Urlauberin das Loch im Bretterverschlag zugestellt, um eine Flucht ins Innere zu verhindern. Doch in einem Panikanfall stieß "der Boss" die Barriere zur Seite und rettete sich so vor dem Zugriff.
Da war guter Rat teuer. Inzwischen waren durch das merkwürdige Treiben der Frauen schon einige Schaulustige angelockt worden. Nachdem Lilo ihnen erklärt hatte, dass die Hunde zuerst zum Tierarzt und dann ins Tierheim gebracht werden sollten, waren sie beruhigt. Ein Mann erkannte dann auch die missliche Situation mit dem nach innen geflüchteten Hund und brachte sich gleich tatkräftig in die Rettungsaktion mit ein. Er riss eines der großen Bretter vom Verschlag los, so dass man hinein schauen konnte.
Die erste Reaktion seitens der Frauen war Zurückweichen. Es drang ein derartiger Gestank aus der Hütte, dass es kaum auszuhalten war. Der Hund thronte halb benommen auf einem meterhohen Stapel von Gerümpel und Abfall. Sobald man aber die Arme nach ihm ausstreckte, wich er zurück. Oje, in diesem Durcheinander hätte er sich überall verstecken können.
Es half alles nichts, jemand musste da rein. Ein weiteres Brett wurde entfernt, um den Einstieg größer zu machen und dann ging der Spaß los. Kurzentschlossen und sämtlichen Gestank ignorierend kletterte eine Helferin hinein. Sie musste auf alten Fahrrädern, Matratzen, einer Regentonne und sonstigem balancieren, um vorwärts zu kommen. Der Hund war natürlich schneller. Also tiefer hinein in das unaussprechliche Chaos.
Vorbei an alten Kühlschränken mit vergammelten Lebensmitteln. An Regalen, die nicht umfallen konnten, weil davor viel zu viel Unrat lag. An Bergen von Kleidungsstücken, die aussahen wie der reinste Nistplatz für Ungeziefer. Die Frau erklomm den unappetitlichen Berg. - Und der Hund? Sie verlor ihn aus den Augen. Aber dann entdeckte sie, dass er sich durch einen schmalen Spalt im rückwärtigen Bereich nach außen gezwängt hatte. Pech gehabt.
Dann kämpfte sie sich aber doch noch bis zu einem Sessel vor und schaute nach, ob sich darunter vielleicht einer der Hunde verkrochen hatte. Und sie wurde fündig! Es war zwar nicht "der Boss", aber das spielte ja auch keine Rolle. Schwierig war nur, das Tier dort raus zu bekommen, denn ganz umkippen konnte man den Sessel nicht, weil er bereits an der Decke anstieß. Auf allen Vieren zwischen Unmengen von Fäkalien kniend robbte sie sich heran und packte den Hund schließlich am Nackenfell. Zum Glück hatte er genug Beruhigungsmittel abbekommen, um sich nicht mehr großartig zu wehren.
Zurück ging es wieder über die Klamotten, vorbei an den Kühlschränken, Regalen, über die Regentonne, einen Rollstuhl und schließlich konnte sie nach dem Balanceakt über die Fahrräder das schlafende Fellbündel den Mitstreiterinnen nach draußen übergeben. Wieder einer mehr!
Hoppla! Da war doch gerade noch eine Bewegung. Im Regal. Ganz unten. Tatsächlich. Noch ein Hund. Und zwar einer, den sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Will heißen, dass er auch keinerlei Beruhigungsmittel gefressen hatte. Na super!
Zum Glück war dem Hundchen durch den vielen Unrat der Fluchtweg abgeschnitten. Aber der Zugriff wurde dadurch auch erschwert. Das blöde Fahrrad war im Weg. Aber wegräumen konnte man es auch nicht, weil es so verkeilt war, dass es sich nicht bewegen ließ. Also musste die Helferin das verängstigte Wesen um das Pedal herum durch eine schmale Lücke aus dem Regal ziehen. Der Atem ging auf beiden Seiten schwer, aber sowohl Vier- als auch Zweibeiner haben es unbeschadet überstanden.
Mittlerweile hatten die beiden Frauen draußen auch Erfolg bei ihrer Jagd auf "den Boss". Er saß mit zwei seiner Kumpels in der Box und verhielt sich ziemlich ruhig.
Okay. Durchzählen. Acht Hunde gefangen, aufgeteilt auf drei Boxen. Hm, fehlte noch einer? Die Frauen wussten nicht genau, ob es acht oder neun Tiere gewesen waren. Aber dann fiel es ihnen auf. Natürlich fehlte noch einer.
Der helle Hund, der am meisten Fell verloren hatte. Der, bei dem man schon die rosa Haut durchscheinen sah. Wo um Himmels willen war er abgeblieben? Seit mindestens einer halben Stunde hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen.
Es wurde eine Suchaktion gestartet. Rings um die Bretterhütte durchkämmten die drei sämtliche Büsche und liefen die Wiesen ab. Immer Ausschau haltend nach einem hellen schlafenden Etwas. Aber alles Helle entpuppte sich bei näherem Hinkommen als Plastik oder sonstiger Abfall.
Auch in der Hütte und unter dem Wohnwagen war nichts zu entdecken. Der Hund war spurlos verschwunden. Resigniert mussten die Frauen aufgeben. Einzige Beruhigung war, dass einige Anwohner, die das kleine Rudel bisher gefüttert hatten, im Tierheim anrufen wollten, sobald sich das verschollene Mitglied wieder blicken ließe.
Mit acht Hunden im Gepäck ging die Fahrt ins Tierheim. Dort bekamen sie Wasser und am nächsten Tag auch Futter. Mit Heißhunger verschlangen sie das angebotene Hühnchen mit Reis.
Dann brachte Lilo sie zum Tierarzt. Aufgrund ihres schlechten Zustands entschied er bei drei unserer Sorgenkinder, dass er sie einschläfern musste. Eines davon war "der Boss".
Die übrigen fünf Tiere kamen nach einer ersten Behandlung zurück ins Tierheim. Sie werden mit einer Spritzenkur weiter behandelt, mit der die Pfleger hoffentlich die Fell- bzw. Hautprobleme in den Griff bekommen werden.
Obwohl das Einfangen und der Tierarztbesuch für diese Hunde der blanke Horror gewesen sein müssen, sind sie gegenüber Menschen in keiner Phase aggressiv geworden. Sie scheinen zu spüren, dass man ihnen helfen will. Zwar verhalten sie sich immer noch etwas vorsichtig, doch man merkt schon, dass sie langsam Vertrauen zu den Zweibeinern bekommen.
Zaghaft nähern sie sich der Tür, wenn jemand vor dem Zwinger steht. Man hat fast das Gefühl, dass sie auch gerne schmusen würden, aber da können sie noch nicht so richtig über ihren Schatten springen. Immerhin aber schnuppern sie einem schon an den Händen.
Bis zu einer erfolgreichen Vermittlung wird es schon noch einige Zeit dauern. Im Vordergrund steht erst mal die Behandlung der gesundheitlichen Probleme. Dass sie nach und nach auch ihre Scheu überwinden werden, ist jetzt schon absehbar. Und dann bleibt nur noch Daumen drücken, dass sie alle ein gutes Zuhause finden.
Der neunte Hund, der schon fast kahl war, blieb übrigens verschollen. Auch Wochen später haben wir nichts über seinen Verbleib in Erfahrung bringen können. Wir können nur hoffen, dass sich jemand anders seiner angenommen hat.
Wir sind jedenfalls froh, dass wir wenigstens die fünf verbliebenen Rudelmitglieder im Tierheim versorgen können. So haben sie zumindest eine Chance auf Adoption und müssen nicht elend im eigenen Dreck verrecken. Gerne hätten wir alle gerettet, aber unsere Hilfe kam zu spät.
So wichtig und sinnvoll derartige Fangaktionen auch sind, bedeuten sie doch für das Tierheim jedes Mal enorme Kosten. Das fängt mit der Erstversorgung beim Tierarzt an, zieht sich dann gegebenenfalls über Folgebehandlungen und nach Gesundung des Neuzugangs auch über die notwendige Kastration hin bis zu den Futterkosten, die natürlich bis zu einer Vermittlung anfallen.
Deshalb suchen wir ständig nach Tierfreunden, die sich im Rahmen des "Sponsoring" engagieren, um die erforderlichen Gelder für Tierarzt und Futter bereit zu stellen. Der monatliche Beitrag kann dabei selbst gewählt werden und eine Kündigung ist natürlich auch jederzeit möglich.
Bitte helfen Sie, damit wir unsere Arbeit fortführen können!